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Gerechtigkeit

 

Der Begriff der Gerechtigkeit und
die soziale Wirklichkeit des Kapitalismus


An dieser Stelle könnte man einwenden, dass es im Kapitalismus nicht gerecht zugeht, ist doch allgemein bekannt, also hätte man sich doch die Erörterung und Kritik der Aporien von Kants Gerechtigkeitsbegriff sparen können. Doch diese abstrakte Negation der entwickelten Vorstellungen von Gerechtigkeit, die gerade bei Kant am avanciertesten erscheint, wäre ein Fehler. Entweder man affirmiert die kapitalistischen Verhältnisse, dann wird man irgendwann von dieser Katastrophenökonomie erschlagen. Oder man entwickelt eine Alternative dazu – wie hoffnungslos auch immer -, dann muss man wissen, was Gerechtigkeit bedeuten könnte. Sonst wird sich die „alte Scheiße“ der Herrschaft (Marx) bloß in anderen Formen fortsetzen, wie der sogenannte Kommunismus im Ostblock bewiesen hat, der in Wirklichkeit ein monopolbürokratischer Kollektivismus war, also eine neue Art der Herrschaft.
Also der moralische Maßstab der Kritik am Kapitalismus und die moralisch konkrete Utopie einer zukünftigen Gesellschaft bleibt von dem kantischen Begriff der Gerechtigkeit bestehen, ein Begriff, der auf Freiheit und Selbstzweckhaftigkeit der Personen beruht und einem möglichen Rechtssystem zugrunde liegt, das unter anderem eine Bedingung des moralischen Handelns ist. Die Gerechtigkeit, wie sie von Kant konzipiert wurde, ist der Maßstab einer zukünftigen Gesellschaft. Es gilt, was Kant weiß und schon Kritias, Platon und Aristoteles wussten: Entweder Moral und Recht oder Krieg untereinander.
Die folgende marxsche Kritik ist deshalb auch keine Negation der Menschenrechte, sondern ihres ideologischen Moments, das sie im Kapitalismus haben und von dessen Einschränkungen sie durch Revolution zu befreien sind.
Auf der Oberfläche der kapitalistischen Ökonomie erscheint der Arbeitsvertrag als gerecht und frei.
 „Die Sphäre der Zirkulation oder des Warentausches, innerhalb deren Schranken Kauf und Verkauf der Arbeitskraft sich bewegt, war in der Tat ein wahres Eden der angeborenen Menschenrechte. Was allein hier herrscht, ist Freiheit, Gleichheit, Eigentum, und Bentham. Freiheit! Denn Käufer und Verkäufer einer Ware, z. B. der Arbeitskraft, sind nur durch ihren freien Willen bestimmt. Sie kontrahieren als freie, rechtlich ebenbürtige Personen. Der Kontrakt ist das Endresultat, worin sich ihre Willen einen gemeinsamen Rechtsausdruck geben. Gleichheit! Denn sie beziehen sich nur als Warenbesitzer aufeinander und tauschen Äquivalent für Äquivalent. Eigentum! Denn jeder verfügt nur über das Seine. Bentham! Denn jedem von beiden ist es nur um sich zu tun. Die einzige Macht, die sie zusammen und in ein Verhältnis bringt, ist die ihres Eigennutzes, ihres Sondervorteils, ihrer Privatinteressen. (…)
   Beim Scheiden von dieser Sphäre der einfachen Zirkulation oder des Warentausches, woraus der Freihändler vulgaris Anschauungen, Begriffe und Maßstab für sein Urteil über die Gesellschaft des Kapitals und der Lohnarbeit entlehnt, verwandelt sich, so scheint es, schon in etwas die Physiognomie unsrer dramatis personae. Der ehemalige Geldbesitzer schreitet voran als Kapitalist, der Arbeitskraftbesitzer folgt ihm nach als sein Arbeiter; der eine bedeutungsvoll schmunzelnd und geschäftseifrig, der andre scheu, widerstrebsam, wie jemand, der seine eigne Haut zu Markt getragen und nun nichts anderes zu erwarten hat als die  - Gerberei.“ (Marx: Kapital I, S. 189 – 191)


Zur sozialen Wirklichkeit Lohnarbeit


Was passiert nun wirklich, wenn die Lohnabhängigen nach dem Verkauf ihrer Ware Arbeitskraft sie in der Produktion durch das Kapital anwenden lassen? Der Lohn erscheint in der kapitalistischen Ökonomie als Äquivalent für die Lebensmittel, welche die Lohnabhängigen benötigen – je nach dem historischen Stand der Entwicklung. Wie jede Ware besteht ihr Wert in der durchschnittlichen Arbeitszeit, die sie kostet, also auch der Wert der Ware Arbeitskraft. Der Wert der Arbeitskraft entspricht also dem Wert, der zu ihrer Produktion und Erhaltung notwendig ist.
„Der Wert der Arbeitskraft, gleich dem jeder andren Ware, ist bestimmt durch die zur Produktion, also auch Reproduktion, dieses spezifischen Artikels notwendige Arbeitszeit. Soweit sie Wert, repräsentiert die Arbeitskraft nur ein bestimmtes Quantum in ihr vergegenständlichter gesellschaftlicher Durchschnittsarbeit. Die Arbeitskraft existiert nur als Anlage des lebendigen Individuums. Ihre Produktion setzt also seine Existenz voraus. Die Existenz des Individuums gegeben, besteht die Produktion der Arbeitskraft in seiner eignen Reproduktion oder Erhaltung. Zu seiner Erhaltung bedarf das lebendige Individuum einer gewissen Summe von Lebensmitteln. Die zur Produktion der Arbeitskraft notwendige Arbeitszeit löst sich also auf in die zur Produktion dieser Lebensmittel notwendige Arbeitszeit, oder der Wert der Arbeitskraft ist der Wert der zur Erhaltung ihres Besitzers notwendigen Lebensmittel.“ (Marx: Kapital I, S. 183 f.)
Neben dem historischen und moralischen Moment der Kulturstufe gehört zu diesem Wert der Arbeitskraft auch die Fortpflanzung in der Familie und die Befriedigung gewisser kultureller Bedürfnisse.
„Die letzte Grenze oder Minimalgrenze des Werts der Arbeitskraft wird gebildet durch den Wert einer Warenmasse, ohne deren tägliche Zufuhr der Träger der Arbeitskraft, der Mensch, seinen Lebensprozeß nicht erneuern kann, also durch den Wert physisch unentbehrlicher Lebensmittel. Sinkt der Preis der Arbeitskraft auf dieses Minimum, so sinkt er unter ihren Wert, denn sie kann sich so nur in verkümmerter Form erhalten und entwickeln.“ (A. a. O., S. 187)
Reduziert man den Begriff der ökonomischen Gerechtigkeit darauf, dieses Existenzminimum zu erreichen und zu überschreiten, dann sitzt man dem Schein der Zirkulationssphäre auf, die schon thematisiert wurde. Denn die Ausbeutung der Lohnabhängigen findet in der Produktionssphäre statt und ist nicht offensichtlich, sondern nur durch theoretische Analyse erschließbar.
Der Kapitalist bzw. das Kapital würde keine Arbeitskräfte kaufen, wenn sie bei ihrem Gebrauch nur soviel Wert produzieren, wie sie als Lohn (mit allen Lohnnebenkosten) zurückbekommen. Ein Tausch von 100 € Lohn gegen 100 € Werterzeugung ist für das Kapital sinnlos. Der Gebrauchswert der Ware Arbeitskraft ist ihr Konsumtionsprozess in ihrer Anwendung in der Produktion. Der Gebrauchswert der Ware Arbeitskraft muss also die Fähigkeit haben, mehr Wert zu schaffen als er für seine Reproduktion in Form von Lohn kostet.
„Ganz abgesehen vom Steigen des Arbeitslohnes mit sinkendem Preis der Arbeit usw., besagt seine Zunahme im besten Fall nur quantitative Abnahme der unbezahlten Arbeit, die der Arbeiter leisten muß. Diese Abnahme kann nie bis zum Punkt fortgehen, wo sie das System selbst bedrohen würde.“ (Marx: Kapital I, S. 647)
Der Gebrauchswert der Ware Arbeitskraft „zeigt sich erst im wirklichen Verbrauch, im Konsumtionsprozeß der Arbeitskraft. Alle zu diesem Prozeß nötigen Dinge, wie Rohmaterial usw., kauft der Geldbesitzer auf dem Warenmarkt und zahlt sie zum vollen Preis. Der Konsumtionsprozeß der Arbeitskraft ist zugleich der Produktionsprozeß von Ware und von Mehrwert.“ (A. a. O., S. 189)
In dieser Differenz zwischen dem Wert der Arbeitskraft und ihrer Anwendung in der Produktionssphäre, mehr Wert zu schaffen als sie kostet, liegt das Interesse des Kapitals an der Lohnarbeit. Es findet deshalb in der Zirkulationssphäre ein Austausch von Äquivalenten statt: Arbeitskraft gegen seine historisch notwendigen Lebensmittel. In der Produktionssphäre aber müssen die Arbeitenden ein Nichtäquivalent abliefern, den Mehrwert über das Äquivalent der Lebensmittel hinaus.
„Der Wert der Arbeitskraft und ihre Verwertung im Arbeitsprozeß sind also zwei verschiedne Größen. Diese Wertdifferenz hatte der Kapitalist im Auge, als er die Arbeitskraft kaufte. Ihre nützliche Eigenschaft, Garn oder Stiefel zu machen, war nur eine conditio sine qua non, weil Arbeit in nützlicher Form vorausgabt werden muß, um Wert zu bilden. Was aber entschied, war der spezifische Gebrauchswert dieser Ware, Quelle von Wert zu sein und von mehr Wert als sie selbst hat.“ (A. a. O., S. 208)
Mit der Produktion von Mehrwert verschafft der Lohnabhängige dem Kapital aber nicht nur einen Mehrwert, sondern er reproduziert auch den Wert der Arbeitsmittel (Rohstoffe, Maschinen…), indem er ihn auf die produzierten Güter überträgt, und zwar macht er dies kostenlos. Indem er den Wert der Lohnkosten produziert, erlaubt er dem Kapital, ihn wieder für eine nächste Periode zu engagieren. Der Arbeiter produziert also nicht nur einen Mehrwert, sondern er reproduziert auch das ganze Herrschaftsverhältnis von Kapital und Arbeit, in dem er zum Mittel geworden ist. Denn wenn das Kapital nur existiert als System (siehe oben „Antike und Moderne“), dann sind die Lohnabhängigen bloßes Mittel in diesem System der Kapitalproduktion – zumal sie ökonomisch gezwungen sind, sich zu verkaufen.
„Der kapitalistische Produktionsprozeß, im Zusammenhang betrachtet, oder als Reproduktionsprozeß, produziert also nicht nur Ware, nicht nur Mehrwert, er produziert und reproduziert das Kapitalverhältnis selbst, auf der einen Seite den Kapitalisten, auf der andren den Lohnarbeiter.“ (Marx: Kapital I, S. 604)

Marx sagt ausdrücklich, dass der Kauf der Ware Arbeitskraft nach den Gesetzen des Warentausches „kein Unrecht“ ist (a. a. O., S. 208). Aber aus der geschichtsphilosophischen Perspektive, also von außen auf die Totalität der kapitalistischen Produktionsweise betrachtet, ist es Unrecht. Da sich das positive bürgerliche Vertragsrecht nur auf die Zirkulationssphäre bezieht, ist der Arbeitsvertrag rechtens – wenn auch nicht gerecht in Bezug auf Kants allgemeinen Begriff der Gerechtigkeit. (Hier zeigt sich nebenbei, dass man den Kapitalismus gar nicht kritisieren kann, wenn man nicht auf moralische Begriffe jenseits dieses Systems zurückgreifen könnte.) Wenn Proudhon sagt, „Eigentum ist Diebstahl“ – genauer müsste es heißen: „Kapitaleigentum ist Diebstahl“, dann kann er sich nicht auf das positive Recht beziehen. Der Satz, auf den Begriff einer allgemeinen Gerechtigkeit bezogen, ist aber dennoch wahr. (5) Denn weder lässt sich eine ursprüngliche Inbesitznahme am Grund und Boden als Voraussetzung dafür, dass wir auf der einen Seite eigentumslose freie Lohnarbeiter haben und auf der anderen Besitzer von Produktionsmitteln, rechtfertigen, noch ist das Eigentum an großen Vermögen legitimierbar. Es besteht in der Anhäufung von Mehrwert, der in der kostenlosen Wert-Abschöpfung besteht, ein Wert, den die Lohnabhängigen erarbeitet haben. Kapitaleigentum ist also a priori Unrecht in Bezug auf den avancierten Begriff der Gerechtigkeit, wie Kant ihn entwickelt hat, auch wenn er selbst das nicht so gesehen hat. Im Lohnvertrag und in der daraus folgenden normalen Ausbeutung der Lohnabhängigen werden diese zum bloßen Mittel der Kapitalverwertung – und das soll nicht sein, weil es sittenwidrig ist. (6)

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C. Gerechtigkeit im Sozialismus als Alternative

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


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